15. Juni 2012 in Uncategorized | Tags: Adrian Bird, Helene Cheval, Huda Zoghbi, Jacky Guy, MECP2, Monica Coenraads, rett, rett syndrome, Rett Syndrome Research Trust, RSRT, University of Edinburgh
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Adrian Bird und Kollegen haben kürzlich ihre letzte Arbeit über MeCP2 im Fachjournal Human Molecular Genetics veröffentlicht. Die im Artikel beschriebene Experimentreihe sollte Klarheit darüber bringen, was passiert, wenn das MeCP2-Protein bei Mäusen verschiedenen Alters entfernt wird, auch bei einer komplett erwachsenen Maus. Diese Arbeit wurde vom RSRT mitfinanziert, und es gab ebenso großzügige Unterstützung vom RSRT UK, der Rett Syndrome Research & Treatment Foundation (Israel) und anderen Organisationen , die unsere Forschungsvorhaben finanziell unterstützen.
Unten finden Sie Auszüge aus dem Gespräch mit den federführenden Autorinnen Hélène Cheval und Jacky Guy.
(Bildtext: Postnatale Inaktivierung zeigt einen erhöhten Bedarf an MECP2 in bestimmten Altersspannen. Human Molecular Genetics, online veröffentlicht am 31. Mai)
Jacky Guy (ganz rechts), Hélène Cheval (zweite von rechts) mit Adrian Bird und anderen Labormitarbeitern. Universität Edinburgh, Schottland
MC Dr. Cheval, Sie sind ausgebildete Neurowissenschaftlerin. Was brachte Sie zum Bird-Labor, das doch sehr auf der Basis von Biochemie arbeitet, und wo Sie die einzige Neurowissenschaftlerin sind?
HC Mein letztes Labor, das von Serge Laroche, ist ein reines Labor für Neurowissenschaften, wo man sich sehr auf Lernen und Gedächtnis konzentriert. Ich dagegen habe eigentlich Biochemie betrieben und war sehr interessiert herauszufinden, wie man vom Molekül bis zum Verhalten kommt, und was mich auch sehr interessierte, war Chromatin. Ich hatte den Artikel über Umkehrung, der 2007 vom Bird-Labor veröffentlicht worden war, gelesen und dachte, das sei eine der interessantesten Arbeiten, die ich je gesehen hatte. Als ich meinen Doktortitel erhielt, bewarb ich mich um eine Post-Doc-Stelle. Ich war überzeugt, dass das für mich eine enorme Erfahrung sein würde, aber auch, dass das Labor vielleicht davon profitieren könnte, jemand mit einem neurowissenschaftlichen Hintergrund zu haben. So kam ich 2009 zum Labor dazu.
MC Dr. Guy, Sie waren erstmalig 2001 an einem Artikel über das Rett-Syndrom beteiligt. In dieser Arbeit wurde das Knockout-Modell für MeCP2 bei Mäusen vorgestellt, das im Labor geschaffen wurde. Es handelt sich um das Modell, das inzwischen in Hunderten von Laboren weltweit verwendet wird.
JG Ich kam 1997 an das Labor. Mein erstes Projekt waren bedingte Mausmodelle für Mecp2, d.h. Mäuse, bei denen man das Protein nach Wunsch entfernen kann. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nichts über die Verbindung zwischen MECP2 und dem Rett-Syndrom. Das stellte sich heraus, während ich an dem Projekt mitarbeitete. Eine wirklich spannende Zeit.
MC Es ist ungewöhnlich, dass jemand so lange an einem Labor bleibt. Das verschafft Ihnen ein faszinierendes, tiefes und kontinuierliches Wissen über das Fachgebiet.
JG Stimmt, ich habe einen eher ungewöhnlichen Weg eingeschlagen. Mir gefällt die Tätigkeit am Arbeitstisch, und ständig im gleichen Fachgebiet arbeiten zu können war großartig für mich.
MC Dr. Guy, vielleicht können Sie uns in das Thema einführen. Was waren die Leitfragen, die Sie mit dieser Reihe von Experimenten beantworten wollten?
Jacky Guy
JG Dies war wirklich ein Experiment, das wir schon lange durchführen wollten. Wir wollten immer definieren, wann genau MeCP2 wichtig ist. Rett wurde lange als Störung der neuronalen Entwicklung betrachtet. Da Rett für uns völlig neu war, dachten wir, dass es vielleicht nicht mit der neuronalen Entwicklung zusammen hängt. Entsprechend haben wir anfangs das Protein in verschiedenen Altersstufen entfernt, um zu sehen, was passiert. Das Protein zu entfernen ist nicht so einfach, wie etwa das Gen zu reaktivieren, was wir ja bei dem Umkehrungsexperiment bereits erreicht hatten. Wenn man das Gen reaktiviert, produziert es sofort Proteine. Doch in diesem Experiment muss man darauf warten, dass das Protein zerfällt, nachdem man das Gen deaktiviert hat. Wir haben herausgefunden, dass es etwa zwei Wochen dauert, bis die Menge des MeCP2-Proteins um die Hälfte zurückgeht.
HC Jackys Umkehrungsexperiment ließ vermuten, dass MeCP2 mit dem Erwachsenenalter zusammenhängt. Viele Artikel beschrieben Rett jedoch weiterhin als Störung der neuronalen Entwicklung. Wir wollten auch eine Annahme bestätigen, die wir alle im Labor teilten: MeCP2 wird während des gesamten Lebens gebraucht.
MC Das ist eine Annahme, die auch in Huda Zoghbis Science-Artikel geäußert wird. Sie hat gezeigt, dass ein Entfernen von Mecp2 bei erwachsenen Mäusen im Alter von neun oder mehr Wochen Rett-Symptome auslöst. Denken Sie, dass ihr Artikel und Ihre neuen Daten die Vorstellung, dass Rett eine Störung der neuronalen Entwicklung ist, ad acta gelegt haben?
HC Für mich ist völlig klar, dass es in erster Linie nichts mit neurologischer Entwicklung zu tun hat.
JG Ich denke, dass „in erster Linie“ hier ein Schlüsselwort ist. Die Phänotypen, die wir bei Mäusen analysieren, sind recht einfach zu sehen. Es sind z.B. die Lebensdauer, die Atmung oder der Gang. Vielleicht gibt es tiefer liegende Dinge, die wir nicht beobachten, oder die nichts mit dem Protein-Knockout im Erwachsenenalter zu tun haben. Außerdem untersuchen wir keine kognitiven Aspekte. Also können wir die Möglichkeit nicht komplett ausschließen, dass es da vielleicht ein paar Dinge gibt, die ihren Ursprung in der neuronalen Entwicklung haben und dass wir sie in diesen Experimenten schlicht nicht sehen.
(Bildtext:
Hauptergebnisse:
– MeCP2 wird ein Leben lang gebraucht
– MeCP2-Stufen sind während des Erwachsenenalters konstant
– Die Halbwertzeit von MeCP2 beträgt etwa 2 Wochen
– Die Zeitspannen zwischen der Deaktivierung des Proteins und dem Beginn der Symptome variieren im Zusammenhang mit dem Lebensalter
– Es gibt zwei Zeiträume, in denen MeCP2 bei Mäusen entscheidend ist: nach etwa 11 und nach etwa 39 Wochen
– Eine Reduzierung der MeCP2-Stufen löst ernste Symptome aus, egal zu welcher Zeit
– Leichte Erhöhungen des MeCP2-Proteins könnten zu therapeutischen Fortschritten führen)
JG Mecp2 kann zerstört werden, indem man die Maus in gleicher Weise mit Tamoxifen behandelt, wie das Protein in der Arbeit über die Umkehrung reaktiviert wurde. Für diesen Artikel wählten wir drei verschiedene Zeitpunkte, um das Gen abzuschalten: drei Wochen (zu diesem Zeitpunkt werden die Mäuse entwöhnt und beginnen unabhängig zu leben), elf Wochen und zwanzig Wochen. In allen drei Szenarien konnte das Tamoxifen Mecp2 in etwa 80% der Zellen auslöschen.
Man könnte erwarten, dass es eine bestimmte Zeitspanne braucht, bis das Protein verschwindet, und dies unabhängig vom Lebensalter, in dem man das Gen auslöscht. Danach sollten dann die Auswirkungen eintreten, die für ein Nichtvorhandensein des Proteins typisch sind.
Tatsächlich fanden wir aber heraus, dass die Zeitspanne bis zum Auftreten der Symptome in Abhängigkeit von dem Lebensalter, in dem wir das Gen deaktiviert haben, variiert. Es dauerte länger bis zum Auftreten der Symptome, als wir Mecp2 im Alter von drei Wochen deaktiviert haben. Als wir MeCP2 bei älteren Mäusen entfernten, traten die Symptome schneller auf. Es sieht also so aus, als könnten jüngere Mäuse ohne MeCP2 länger symptomfrei leben. Offensichtlich gibt es eine bestimmte Phase, in der der Bedarf an MeCP2 bei Mäusen wichtiger wird. Dies ist die erste entscheidende Phase, über die wir in dem Artikel sprechen. Sie liegt ungefähr um elf Wochen herum.
Dr. Cheval und Dr. Guy mit Prof. Bird und anderen Labormitarbeitern
Als wir die Mäuse studierten, die zu allen drei Zeitpunkten behandelt wurden, sahen wir, dass sie alle etwa zur gleichen Zeit starben, ungefähr mit 39 Wochen. Es spielte keine Rolle, wann MeCP2 entfernt wurde. Daraus konnten wir schließen, dass diese Zeitspanne um ungefähr 39 Wochen herum eine weitere entscheidende Phase bezüglich des Bedarfs an MeCP2 darstellt. Die gleiche Zeitspanne entspricht ungefähr dem mittleren Lebensalter beim Menschen. Wir denken, dass MeCP2 möglicherweise eine Rolle beim Erhalt des Gehirns spielt, wenn dieses altert.
Interessanterweise beginnen weibliche Mäuse mit einem MeCP2-Defizit von ca. 50% in ihren Zellen innerhalb dieses Zeitfensters von etwa 39 Wochen, Symptome zu zeigen. Die männlichen Mäuse mit null MeCP2 schaffen es nicht bis zur ersten kritischen Phase von ungefähr elf Wochen. Entsprechend erlauben etwa 20% normal exprimierender Zellen ein Überleben der ersten entscheidenden Phase, nicht aber der zweiten.
MC Ich habe Klinikpersonal sagen hören, dass 30- und 40-jährige bez. noch ältere Frauen mit Rett älter aussehen, als sie sind. Jetzt frage ich mich, ob dies mit Ihrer Annahme, MeCP2 habe etwas mit dem Alterungsprozess zu tun, zusammenhängt. Natürlich wissen wir nicht, ob das vorzeitige Altern erst- oder zweitrangig ist. Es könnte auch mit den Auswirkungen eines chronischen Leidens über viele Jahre zusammenhängen.
JC Wir haben ein ziemlich großes Interesse, mehr über die potenziell späte Verschlechterung bei Frauen mit Rett zu erfahren, aber bisher wurde wenig über dieses Thema veröffentlicht.
MC In Ihrem Artikel werden zwei möglicherweise entscheidende Punkte benannt. Da gibt es einmal die Tatsache, dass die Halbwertzeit des MeCP2-Proteins zwei Wochen beträgt. Das könnte für einen Ansatz im Zusammenhang mit dem Ersetzen des Proteins bedeutsam und ermutigend sein.
JG Dies hatten wir mit Sicherheit im Hinterkopf, als wir das Experiment durchführten. Die Halbwertzeit von MeCP2 ist länger, als wir erwartet hatten. Das könnte tatsächlich verheißungsvoll für eine Proteinersatztherapie sein. Einen Vorbehalt gibt es allerdings; was wir gemacht haben, war ein Massenexperiment am Hirn. Es ist sehr gut möglich, dass es zu verschiedenen Ergebnissen kommt, wenn man stellenweise im Gehirn schaut oder nach einzelnen Zelltypen.
MC Die andere, möglicherweise klinisch relevante Information stammt aus dem Vergleich der Schwere der Symptome, die in dieser Studie bei den Mäusen beobachtet wurden, mit denen der erwachsenen Knockout-Mäuse im Zoghbi-Labor, sowie aus dem hergestellten Zusammenhang von Symptomen mit der Menge des MeCP2-Proteins. Ihre Experimente ergaben 3% mehr Protein und führten zu weniger schwerwiegend betroffenen Tieren. Können Sie das näher erläutern?
HC Dass ein derart kleiner Unterschied in der Proteinmenge so bedeutende Auswirkungen auf das Überleben hat, war nicht erwartet und könnte in der Tat für therapeutische Eingriffe relevant sein. Vielleicht müssen wir das Protein gar nicht auf die Stufe des wild lebenden Typs bringen, um einen Effekt zu erzielen. Es wäre möglich, dass schon kleine Steigerungen sehr hilfreich sind.
MC Ich gratulieren Ihnen beiden zu dieser Veröffentlichung. Das Bird-Labor hat bereits zahlreiche zukunftsweisende Beiträge zum Gebiet der Rett-Forschung geleistet. Normalerweise erhält die Gemeinde der Rett-Eltern keinen Einblick in die Experimente der Forscher, die ihre tägliche Arbeit machen. Entsprechend erfreut bin ich, unseren Lesern die Möglichkeit zu verschaffen, Sie ein wenig kennen zu lernen. Ich freue mich sehr auf die nächste Veröffentlichung und wünsche alles Gute für Ihre weitere Arbeit.
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Fotos mit freundlicher Genehmigung von Kevin Coloton