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Fragen an Gaby:
Kapitel 1
von Gaby Valner | 2. August 2016
Wir glauben, dass alle Mädchen und Frauen mit Rett geistig rege sind, aber dass die Störung ihnen die Fähigkeit raubt, sich auszudrücken. Eine junge Frau, Gaby Valner, hat jedoch das große Glück, mehr Fähigkeiten behalten zu haben als die meisten anderen. Mit außerordentlicher Mühe ist sie in der Lage, ihre Gedanken und Ideen zu tippen. Ihre Texte bieten einen bewegenden Einblick in die Intelligenz, die unsere Mädchen besitzen können. Danke, Gaby, dass du uns an deiner Sicht teilhaben lässt und so vielen stellvertretend eine Stimme gibst. – RSRT
Hallo, ich bin Gaby und ich habe das Rett-Syndrom, oder eher die MECP2 Genmutation. Ich hatte das unglaubliche Glück, tippen lernen zu können, und so schreibe ich nach und nach Briefe, um zu kommunizieren. Während der letzten Jahre haben Menschen mich gedrängt, ein Buch zu schreiben, doch es ist mir lieber, außerhalb des Rampenlichts zu bleiben. Bis heute wird mir immer wieder klar, dass mein Schreiben einen Zweck hat, seit ich diagnostiziert und ein Mitglied der Rett-Gemeinschaft wurde – eine Stimme unter denen ohne Stimme. Ein Elternteil eines Rett-Kindes fragte: „Tut es weh, am Rett-Syndrom zu leiden?“ Zum Glück bin ich körperlich in guter Verfassung. Doch ich muss sagen, dass es emotional unglaublich schmerzhaft sein kann, wie viele von euch sicher wissen. Ich hoffe, dass ich ein wenig der durch Rett verursachten Verletztheit und Frustration lindern kann, indem ich jeden Monat ein paar eurer Fragen beantworte… Ich habe mit den folgenden drei Fragen angefangen und hoffe, dass ihr und eure Mädchen und eure wenigen besonderen Jungen meine Antworten hilfreich finden.
Eure Fürsprecherin und Freundin Gaby
Hallo Gaby, vielen Dank für diese Gelegenheit. Was ist für dich am schlimmsten daran, das Rett-Syndrom zu haben? Was könnten deine Eltern/Verwandten/Freunde tun, um dies für dich einfacher zu machen? – Kirsty Sale
Für mich persönlich ist das schlimmste an meiner Rett-Erkrankung, dass ich nicht einfach kommunizieren kann. Das ist der Hauptgrund für so viele Ängste, Frustrationen und Missverständnisse. Manchmal macht es wütend, wenn jemand fälschlicherweise glaubt, dass ich nicht zuhöre oder dass ich kognitiv behindert bin, einfach weil ich nicht antworten kann. Oder wenn ich kann, kommt ein beschwichtigendes „Ja“ oder gar keine Antwort. Aber ich hatte das große Glück, dass meine Familie und andere Menschen in meinem Umfeld meine Intelligenz fast nie in Frage gestellt haben. Diese Eigenschaft ist für mich auch immer ausschlaggebend, wenn ich jemanden neu kennen lerne.
Ich habe ebenfalls das große Glück, über eine geringe Sprechfähigkeit zu verfügen, aber das kann auch begrenzend und verwirrend sein. Unzählige Male war es mir peinlich, über irgendwelche kindischen Disney-Themen zu schreiben, wenn das doch gar nichts mit dem zu tun hat, was ich gerade denke. In diesem Fall hätte ich mir die Ermutigung gewünscht, meine Interessen schneller meinem Alter anzupassen, doch meine Familie war sich dessen nicht bewusst, weil ich nur nach Dingen fragen konnte, die mir vertraut waren. Sie haben auch nicht verstanden, wie unzuverlässig meine Äußerungen sein konnten. Aufgrund der Apraxie habe ich sogar manchmal „Ja“ gesagt, wenn ich eigentlich „Nein“ meinte – aber jetzt bitte ich sie, mich meine Äußerungen immer bestätigen zu lassen, indem sie mir die Chance geben, auf verschiedene Möglichkeiten auf einem Whiteboard zu zeigen. Es hilft auch, bedeutsame Versuche, ein Gespräch zu beginnen, von impulsivem sensorischem Schreiben zu unterscheiden (wir verwenden dazu die Auswahl „Impuls“ / „Kommunikation“ auf einer Tafel oder Karte).
Insgesamt bin ich der Ansicht: Man sollte Intelligenz voraussetzen, aber nicht immer davon ausgehen, dass der Körper und das Gehirn miteinander kooperieren!
Wir haben oft dass Gefühl, dass wir Charlie nicht genug Zeit geben, etwas zu verarbeiten, sondern dass wir zu schnell Entscheidungen für sie treffen. Gibt es etwas, von dem du dir gewünscht hättest, dass deine Eltern es wissen, als du kleiner warst, und das vielleicht geholfen hätte? – Fiona Russo
Eure einfühlsame Beobachtung beeindruckt mich sehr! Ich kann mich damit zu Hundert Prozent identifizieren. Wie Charlie hatte und habe ich das Glück, dass meine Eltern bemerkt haben, dass ich manchmal mehr Zeit brauche, wenn ich auf Fragen antworte oder eine Wahl treffe. Ich verfüge über eine geringe Sprachfähigkeit, aber wegen meiner Apraxie, ist sie nicht immer verlässlich, sogar wenn ich nur zwischen zwei Möglichkeiten wähle; ich habe die starke Neigung, einfach das letzte Wort oder den letzten Satzteil zu wiederholen, den ich gehört habe, auch wenn er möglicherweise nicht mit den Wörtern übereinstimmt, die ich eigentlich sagen will. Wie ihr euch vorstellen könnt oder sicher auch schon erlebt habt, kann diese Situation zu Missverständnissen und Frustration auf beiden Seiten führen.
Mir hilft etwas Sichtbares wie ein Whiteboard, auf dem ich eine Wahl zeigen oder eine verbale Antwort bestätigen kann. Meine Pflegerin sagt immer, dass sie bei meinen Augen darauf achtet, ob ich in die gleiche Richtung schaue, in die ich auch zeige. Manchmal zeige ich nämlich vielleicht auf etwas, ohne vorher alle Auswahlmöglichkeiten angeschaut zu haben.
Ich bin sicher, dass es Kindern mit Rett eine größeres Zufriedenheitsgefühl vermittelt, wenn man daran arbeitet, ihnen mehr Wahlmöglichkeiten zu geben; immerhin ist eine Sache, die uns fehlt, die unabhängige Kontrolle über unser Leben. Entsprechend schätzen wir es sehr, wenn uns die Möglichkeit gegeben wird, eigene Entscheidungen zu treffen.
Sind deine Gefühle ‘apraxisch’? Das heißt, stimmen deine geäußerten Emotionen normalerweise damit überein, wie du dich fühlst (lächelnd/glücklich, lachend/amüsiert, weinend/traurig etc.)? – Fiona Russo
Ich wäre nie darauf gekommen, Emotionen als apraxisch zu bezeichnen, aber das ist manchmal eine gute Beschreibung. Es gibt Momente, da habe ich vielleicht einen Anfall unkontrollierbaren Lachens, der aber eigentlich dem Abbau von Spannung durch Stress oder Nervosität wegen etwas dient. In solchen Fällen kann es frustrierend sein, wenn meine Gefühle falsch aufgefasst werden, obwohl ich auch nachvollziehen kann, dass so etwas für die Menschen in meinem Umfeld verwirrend ist.
Ich denke, dass diejenigen, die mich kennen, in meinem Gesicht sofort sehen, ob ich mich aufrege oder frustriert bin; sie haben mir mehr als einmal gesagt, dass ich kein Pokerface habe! Wenn ich negative Emotionen erlebe, würde ich sagen, dass die Äußerung mein allgemeines Gefühl auch widerspiegelt – aber das Gefühl ist normalerweise komplexer, als ich es im jeweiligen Moment vermitteln kann. Ich werde auch sehr gesprächig oder lache schnell, wenn ich entspannt oder glücklich bin, das stimmt also auch meistens überein. In erster Linie ist es nur der sensorische Abbau von Spannung durch Lachen, der in meinem Fall vielleicht als apraxisch bezeichnet werden kann.
Wenn ihr euch so etwas bei eurem Kind fragt, würde ich vorschlagen, dass ihr euch mit einer Ja-/Nein-Frage vergewissert, ob das geäußerte Gefühl dem inneren entspricht. Auch wenn es manchmal schwierig ist zu antworten, so ist es doch tröstlich, wenn wir als emotional komplex wahrgenommen werden, und man nicht jede Äußerung für bare Münze nimmt.
Das ist alles für dieses Kapitel. Wir sind nicht zu jeder Frage gekommen, werden aber unser Bestes tun. Bitte schreiben Sie weiterhin jede Frage, die Sie ihr gern stellen möchten, für ein weiteres Kapitel dieser Serie unten in den Kommentarbereich.