Seit über einem Jahrzehnt wissen wir bereits, dass Mutationen am MECP2-Gen das Rett-Syndrom verursachen. Doch noch immer ist unklar, was genau dieses Protein eigentlich tut.
In den frühen 90ern reinigte das Wissenschaftlerteam um Adrian Bird MeCP2—das Kürzel steht für Methyl-CpG bindendes Protein 2—und benannte das Protein nach seiner Eigenschaft, Teile der DNA mit einem chemischen Aufhänger namens Methyl zu binden. Methyl neigt dazu, die Expression von Genen zu dämpfen, was die Annahme nahe legt, dass die Funktion von MeCP2 darin besteht, Gene stumm zu schalten.
Seitdem veröffentlichte Studien nehmen an, dass MeCP2 die Expression zahlreicher Gene aktiviert oder unterdrückt. Andere Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass dieses Protein im ganzen Genom bindet und so die Weise, wie DNA in eine Zelle eingebaut wird, beeinflusst.
Neue Belege, die heute (21. Dezember) in Cell veröffentlicht wurden, zeigen, dass MeCP2 im gesamten Genom an einzelnen Punkten bindet, die bei Mäusen mit der chemischen Substanz 5-Hydroxymethylcytosin (5hmC) markiert sind. Diese Interaktion könnte nun für das Verständnis des Rett-Syndroms von Bedeutung sein.
„[Die Studie ist] eine interessante neue Entwicklung in der Erforschung der funktionalen Bedeutung von MeCP2, und wir sollten diese verstehen, wenn wir das Rett-Syndrom verstehen wollen“, sagt Bird, Professor für Genetik an der Universität von Edinburgh in Schottland, der nicht an dieser Arbeit beteiligt war.
Reichlich in der DNA bestimmter Hirnzellen vorhanden, scheint 5hmC ein Wegweiser für Arten von aktiven Punkten innerhalb des Genoms zu sein, d.h. jenen Regionen, die neues Protein ausschütten, so fand die Studie heraus. Dass MeCP2 nun an diesen Stellen einrastet, spricht für seine potenzielle Rolle als Genaktivator, es sollte allerdings auch klar sein, dass die Frage, was MeCP2 im Einzelnen tut, damit noch nicht vollständig beantwortet ist.
„Ob MeCP2 direkt an der Aktivierung beteiligt ist oder nicht, muss weiter erforscht werden. Aber wir wissen, dass es sich in Regionen, die 5hmC und aktive Gene enthalten, positionieren kann“, sagt Skirmantas Kriaucionis, Gruppenleiter der medizinischen Abteilung Nuffield an der Universität Oxford, welcher die Studie zusammen mit Nathaniel Heintz von der Rockefeller Universität in New York leitete.
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Podcast mit Skirmantas Kriaucionis
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Auffindung von 5hmC
Als postdoktoraler Forscher im Labor von Heintz hat Kriaucionis eher zufällig im Jahr 2009 5hmC entdeckt, als er der Frage nachging, wie eine eng verwandte Substanz, 5-Methylcytosin (5mC), die Genomstruktur in Hirnzellen beeinflusst. Ein Forscherteam um Anjana Rao an der Harvard Medical School, das unabhängig von Heintz’ Labor arbeitete, bestätigte dann die Existenz von 5hmC in der gleichen Ausgabe des Journals.
Die Forschung betrachtet 5mC als fünfte Base und 5hmC als sechste Base der DNA, die traditionell als ein Strang aus vier verschiedenen chemischen Substanzen, den so genannten Nukleotiden, angesehen wird. 5mC und 5hmC ähneln der traditionellen Base Cytosin, mit einer weiteren Methylgruppe allerdings entsteht 5mC, und mit einer Hydroxidgruppe zusätzlich am Methyl entsteht 5hmC. Die neue Studie bestätigte, dass Muster dieser chemischen Veränderung am Genom in jeder Zelle anders sind und dass sie Einfluss darauf haben, welche Gene wann ein- oder ausgeschaltet werden.
Die Entdeckung von 5hmC hat ein neues Arbeitsfeld eröffnet und zu Hunderten neuer Artikel geführt, die sich mit der Frage befassen, wo sich das Nukleotid in den Genomen verschiedener Zelltypen befindet und was es dort tut.
In der neuen Studie, die eine explorative Molekularprobe verwendete, um nach einem Bindepartner für 5hmC zu suchen, identifizierte das Team jenes Molekül als MeCP2 und als nichts Anderes. „Es war wirklich eine Überraschung“, so Kriaucionis.
„Dieser Artikel ist der Zweite, der einen Kandidaten als Bindungsprotein für 5hmC vorschlägt“, sagt Rao, heute Professorin für Signal- und Genexpressionsforschung am La Jolla-Institut für Allergologie und Immunologie, der nicht an der neuen Studie beteiligt war. Weitere Erkenntnisse haben ein anderes Molekül, MBD3, als Kandidaten vorgeschlagen, doch jene und die neuen Ergebnisse brauchen weitere Untersuchungen, fügte sie hinzu.
„Bisher binden beide Kandidaten — MBD3 and MeCP2—gleichermaßen an 5mC. Ein exklusives Bindungsprotein für 5hmC hat sich noch nicht als solches zu erkennen gegeben“, sagt Rao.
Im Widerspruch zu den neuen Nachweisen, dass MeCP2 gleichermaßen an 5hmC und 5mC bindet, zeigen frühere Studien, dass MeCP2 bevorzugt an 5mC bindet, und weniger an 5hmC. Beispielsweise zeigt eine Studie aus diesem Jahr, dass MeCP2 etwa zwanzigmal eher an 5mC bindet als an 5hmC.
Der Zusammenhang mit Rett
In der neuen Studie beobachteten Kriaucionis und seine Kollegen, dass eine bestimmte Mutation, die Rett auslöst, mit dem Namen R133C, die Bindung von MeCP2 an 5hmC stört. Diese Mutation ist verantwortlich für einen vergleichsweise milden Verlauf des Rett-Syndroms.
„[Die R133C-Mutation] ist wirklich interessant, da sie uns die Spekulation erlaubt, die Bindung von MeCP2 an 5hmC sei wichtig als Teil der Funktion, die das Rett-Syndrom verursacht“, sagt Kriaucionis.
Die aktuellen Erkenntnisse legen die mögliche Involviertheit von 5hmC bei Rett nun „sehr nahe“, sagt Peng Jin, institutsangehöriger Professor der Humangenetik, der nicht an der neuen Studie beteiligt war. Eine in Nature Neuroscience letztes Jahr von seinem Team veröffentlichte Studie stellte fest, dass Muster von 5hmC bei Mausmodellen für Rett verändert erscheinen.
Interessanterweis dämpft die R133C-Mutation die Interaktion von MeCP2 und 5mC nur leicht, was den Schluss zulässt, dass die Bindung von MeCP2 an 5mC einen anderen Zweck hat als die Bindung von MeCP2 an 5hmC.
Andere Rett auslösende Mutationen an MeCP2, die von diesem Team untersucht wurden, scheinen die Bindung an 5hmC nicht zu berühren, was bedeutet, dass die 5hmC-Bindung die Rett-Symptome nicht vollständig erklärt. „Es wird wichtig sein weiter zu testen, inwieweit 5hmC zum Rett-Syndrom beiträgt“, hält Jin fest und fügt hinzu, dass im Moment keine Mausmodelle dafür zur Verfügung stehen. Entsprechende Mutantenmäuse verfügen nicht über die Enzyme, die für die Umwandlung von 5mC zu 5hmC benötigt werden.
In der neuen Studie untersuchten die Wissenschaftler nur einige Typen Nervenzellen, doch es gibt Hunderte von Zelltypen im Gehirn. Kriaucionis vermutet, dass MeCP2 in anderen Zellen an 5hmC bindet.
Die Muster von 5hmC selbst sind jedoch zellspezifisch, was die Geschichte von MeCP2 möglicherweise verkompliziert.
„Wir brauchen wirklich mehr Daten, um zu verstehen, ob die Lokalisierung von 5hmC und MeCP2 in verschiedenen Zelltypen anders wäre, und wenn ja, wie sehr“, sagt Kriaucionis. „Es ist eine wichtige Komponente für das Verständnis der Funktion von MeCP2.“ Und sicher auch dafür, wie Wissenschaftler über künftige Behandlungsmöglichkeiten denken werden.