Der Vorteil genetischer Mutationen

RETT SYNDROME RESEARCH TRUST WEBSITE
von Monica Coenraads
Letzte Woche besuchte ich ein Treffen von Wissenschaftlern in Stresa, Italien. Eine Elterngruppe, Pro Rett Ricerca, hatte es organisiert. Einer der besten Vorträge des Vortragsprogramms kam von Monica Justice, PhD am Baylor College of Medicine. Sie sprach über die Daten, die ihr vom RSRT gefördertes Projekt erbracht hat. Entsprechend finden Sie im Folgenden eine Zusammenfassung des Gesprächs zwischen den zwei Monicas während des Treffens in Italien.

MC: Dr. Justice, toll, Sie in Italien getroffen zu haben. Ich denke, unsere Leser freuen sich, einen Einblick in Ihr Projekt zu erhalten. Doch ich würde gern mit Ihnen, der Seele hinter diesem beeindruckenden Vorhaben, beginnen. Wie sind Sie in die Wissenschaft gekommen?

MJ: Mein Großvater war Tierarzt, und ich hatte einen Onkel, der Arzt war. Schon immer hatte ich ein Herz für Tiere, und so wollte ich als Kind und Jugendliche Tierärztin werden. Mein Vater war allerdings der Ansicht, das wäre kein geeigneter Beruf für eine Frau, und mein Onkel überzeugte mich, es auf dem Gebiet der Medizin zu versuchen. Doch schon ziemlich früh erkannte ich, dass sich meine wahre Leidenschaft auf die Grundlagenforschung richtete. Ich ging an die Hochschule für Graduierte mit dem Gedanken, ich würde mich auf Immunologie und Mikrobiologie konzentrieren, doch meine allererste Vorlesung sollte meinen Werdegang entscheidend verändern. Mein Professor wechselte auf das Gebiet der Mausgenetik und lud mich ein, in seinem Labor zu arbeiten. Ich liebte Mausgenetik von Beginn an und wusste sofort: Das hier war exakt, wo ich sein wollte.

“Ich hoffe, dass wir ein Molekül (oder mehrere) finden, das wir manipulieren können, um so die Symptome bei diesen Mädchen umzukehren. Umkehren ist ein starkes Wort, aber mithilfe der außerordentlichen Arbeit von Adrian Bird, ist dies, worum ich mich bemühe“
Monica Justice, PhD 13mj-qt5

MC: Die meisten Laien unter den Lesern dieses Blogs haben vermutlich noch nicht gehört, dass Mausgenetik überhaupt als Forschungsgebiet existiert. Können Sie uns etwas über diese spezielle Richtung erzählen?

MJ: Als ich auf diesem Gebiet angefangen habe, wurde ein Großteil der Mausgenetik in einer Handvoll Labore durchgeführt, wobei die Jackson Laboratories das namhafteste in den USA war. Die Forschung bewegte sich um ein paar Mutationen bei Mäusen, die in erster Linie die Fellfärbung beeinflussten. Ich denke, in der Fachwelt war man weitestgehend der Überzeugung, dass wir keine besonders wichtige Arbeit leisteten. Diese Ansicht änderte sich, als wir einige sehr effektive Forschungswerkzeuge vorstellen konnten. Eins dieser Werkzeuge war die Möglichkeit, Gene in Stammzellen von Mausembryonen zu verändern und auf diese Weise DNS-Mutationen willentlich herbeizuführen. Die nächste war die Möglichkeit, ein starkes Mutagen, man nennt es N-Ethyl-N-Nitrosoharnstoff oder ENU, zu verwenden, um die Genetik voranzubringen – dazu später mehr. Das geschah zu einer Zeit, als Molekularbiologie explodierte. Die Maus wurde recht schnell zu DEM Modellorganismus. Seit meiner Studienabschlussphase war ich auf dieser Welle mit unterwegs. Heute hat fast jedes Institut, das in der Forschung eine Vorreiterrolle spielt, ein Forschungszentrum für Mausgenetik. Ich nehme an, dass es gegenwärtig ungefähr 2000 wirkliche Mausgenetiker auf der Welt gibt. Fast jeder, der über menschliche Krankheiten forscht, arbeitet heutzutage mit Mausmodellen.

MC: Bitte nennen Sie unseren Lesern die Grundlagen hinter Ihrem Rett-Projekt.

MJ: Unser Rett-Projekt basiert auf zwei Entdeckungen: 1) mit der Einführung eines neurotrophen Faktors (BNDF) aus dem Hirn ist es möglich, die Symptome bei Mäusen mit mutiertem Mecp2 zu lindern und 2) Adrian Birds Entdeckung, dass sehr schwere Symptome bei den Mäusen tatsächlich durch eine Neueinführung des Gens umgekehrt werden können. Durch diese beiden Entdeckungen bin ich zu der Annahme gelangt, dass Rett-Symptome durch andere genetische Mutationen verändert werden können. Ich war sehr sicher, dass der genetische Ansatz, mit dem ich vertraut bin, eine ideale Strategie ist, um die Unterdrücker der Symptome von Mecp2-Knockout (ko)-Mäusen zu erproben und zu identifizieren.
Lassen Sie mich ein bisschen über das Rastern erklären. Ich verwende ein hochwirksames Mutagen, ENU, das Mutationen in großen Mengen in Mäusesperma einführt. Wir verabreichen wilden (normalen) männlichen Mäusen dieses Mutagen, und sie geben es an weibliche Mecp2- Knockout-Mäuse weiter. Ein bestimmter Prozentsatz ihrer Nachkommen hat kein Mecp2 und sporadisch eine Mutation irgendwo in ihrem Genom. Wir analysieren die Mäuse dann sehr genau und schauen nach allen, die irgendwie gesünder als unsere typische Mecp2 ko-Maus erscheinen. Eine männliche Mecp2-ko-Maus ist beispielsweise nach 6-14 Wochen tot. Lebt eine Maus in unserem Raster erheblich länger, nehmen wir an, dass an einem anderen Gen eine Mutation existiert, die den Krankheitseffekt eines nicht vorhandenen Mecp2 unterdrückt. Aktuell haben wir Mäuse, die schon über ein Jahr alt sind und noch immer keine Anzeichen von Rett zeigen.

MC: Wie viele Mäuse wurden innerhalb Ihres Projekts gezeugt?

MJ: Wir haben bisher ungefähr 10.000 Mäuse verwendet und brauchen 5.000 weitere, um die Gene zu verstehen, die für uns gegenwärtig von Interesse sind. Um eine Sättigung für unser Raster zu erreichen, d.h. um sicher zu sein, dass das Mutagen Mutationen in jedem Gen, das möglicherweise ein Unterdrücker sein könnte, erzeugt hat, müssten wir die Anzahl männlicher Tiere, die wir bisher untersucht haben, fünf Mal durchrastern. Statistisch schätze ich, dass es 25-50 Unterdrückungsgene gibt, die wir zu finden erwarten, wenn wir die Sättigung erreicht haben.

MC: Was waren die Vorgänger für einen Erfolg bei der Anwendung von Rastern mit ENU-Modifikatoren?

MJ: Die ersten erfolgreichen Modifikatorenraster wurden an Bakterien und Hefe erreicht. Die Technik kam in den späten 80ern und frühen 90ern in Schwung, als Gerry Rubin ein Modifikatorraster an Fruchtfliegen durchführte, um Gene zu finden, die sich in eine besondere Bahn einschalteten. Dr. Rubin ist ein berühmter Wissenschaftler und heute Direktor des Howard Hughes Medical Institute Janelia Farm Research Campus. Früher nahm man an, dass Fruchtfliegen der einzige Organismus seien, mit dem man so etwas machen konnte. Heute ist klar, dass die Maus ein ebenso nützlicher Organismus ist. Mein Graduiertenmentor, Vernon Bode, rasterte Mäuse, um PKU-Modifikatoren zu finden. Dies wurde von Bill Dove an der Universität von Wisconsin Madison vollendet. Eine Australische Gruppe, die an Blutkrankheiten arbeitet, führte ein ENU-Raster an Mäusen durch, um Gene zu finden, die die Blutplättchenmengen beeinflussen. Jedes dieser Raster war sehr erfolgreich.

MC: Gibt es Daten, die belegen, dass Modifikatorgene die Regel oder die Ausnahme bei Krankheiten sind?

MJ: Das ist eine sehr interessante Frage. Ich arbeite in der Abteilung für Human- und Molekulargenetik in Baylor. Was ich der Arbeit vieler Kollegen entnehmen kann, ist, dass genetische Veränderung bei Krankheit die Regel ist, nicht die Ausnahme.

MC: Können Sie sich vorstellen, dass Sie Modifikatoren in den Mecp2-ko-Mäusen finden, diese Gene aber nicht in der Störung beim Menschen vorkommen?

MJ: Ich glaube nicht, dass wir Modifikatoren finden werden, die ausschließlich bei Mäusen vorkommen. Das glaube ich vor allem, weil das Mausmodell für das Rett-Syndrom beeindruckend ähnlich zu dem des menschlichen Leidens ist. Außerdem sind DNA-Methylation (die gefährlich für MECP2 ist) und einige der möglichen Funktionen des MECP2-Gens hoch konserviert zwischen den Spezies. Entsprechend ist es sehr wahrscheinlich, dass das MECP2-Gen in Menschen und Mäusen den gleichen Zweck erfüllt.

MC: Was erwarten Sie als bestmögliches Resultat?

14

MJ: Ich erwarte ein Molekül zu finden, das hilft, neuronale Verknüpfungen zu schaffen und das ebenso hilft, diese Verknüpfungen zu erhalten und zu formen.
Außerdem können alle Moleküle, die wir finden und die Rett-Symptome unterdrücken, uns wertvolle biochemische Information über andere Gene geben, die vielleicht mit Mecp2 interagieren.

MC: Hat die Arbeit bei Baylor, einem Rett-Zentrum, Ihre Entscheidung zu diesem Rett-Projekt beeinflusst?

MJ: Ich habe viel Bewusstsein über Rett erhalten, seit ich 1998 nach Baylor zog, ein Jahr bevor Huda Zoghbi das Gen identifizierte. Ich war Mitglied des Ausschusses einiger Studenten von Dr. Zoghbi, was mich über die Arbeit auf dem Laufenden hielt. MECP2 ist ein Transkriptionsfaktor, und ich habe mich immer für die Transkriptionsregelung interessiert. Was mich aber wirklich in dieses Projekt gebracht hat, war Ihr Anruf mit einem Vorschlag.

MC: Als ich Forschungsleiterin bei der Rett Syndrome Research Foundation war (einige Jahre, bevor wir uns mit der IRSA zusammenschlossen und so die IRSF bildeten), veranstaltete ich eine frühmorgendliche Ideenschmiede während des von der RSRF organisierten Rettsyndrom-Symposiums in Chicago. Etwa zwei Dutzend kreative Denker waren so nett, sich aus dem Bett zu quälen und mit mir darüber nachzudenken, welche möglichen Schlüsselexperimente das Forschungsgebiet wirklich vorantreiben könnten. Ganz oben auf der Liste befand sich das Mausmodifikatorenraster mit ENU. Die Gruppe gab mir ebenfalls eine Liste mit potenziellen Teilnehmern, die so ein mühsames und intensives Projekt durchführen könnten…Es war eine kurze Liste, und Ihr Name war darauf. Wie Sie ja wissen, organisierte RSRF dann einen Workshop bei der Konferenz zur Mausgenetik, die 2006 in Charleston, SC, stattfand. Jene Diskussionen führten zur Gründung des Projekts.

MJ: Ich war so aufgeregt, als Sie anriefen. Es hat Zeiten gegeben, in denen ich dieses Projekt abgelehnt hätte. Aber Ihr Anruf kam zur richtigen Zeit. Das Projekt gefiel mir aus der Perspektive der Genetikerin sehr, aber auch aus der einer engagierten Person, die eine Änderung im Leben anderer herbeiführen will.
Ihre Leser sollten auch wissen, dass dies ein Projekt ist, das vom NIH (National Institute of Health, Gesundheitsbehörde der USA) nie gefördert worden wäre. Es barg zu viele Risiken und war zu “weit draußen”. Ich war sicher, dies war eine umsetzbare Technik, und ich war zuversichtlich, was die Expertenschaft meines Labors bezüglich der Mauszucht, Paarung und der Verfahren anging, dass wir dieses Projekt rasch auf den Weg bringen würden. Entsprechend bin ich sehr dankbar für die Förderung, um dies umzusetzen. Man sollte sich darüber im Klaren sein, wie sehr private Stiftungen wie der RSRT die Forschung voranbringen, indem sie sehr risikoreiche, aber hoch wirkungsvolle Projekte fördern.

MC: Wo wir gerade von der engagierten Person sprechen: Am Ende Ihrer Rede in Italien wurden Sie ein wenig emotional, was mich sehr berührt hat. Würden Sie unseren Lesern sagen, was in Ihrem Kopf vor sich ging?

MJ: Ich war etwas “überwältigt” und später beim Essen haben mich alle ganz schön damit aufgezogen. Ich nehme dieses Projekt sehr ernst, weil ich merke, dass unsere Arbeit wirklich Auswirkungen auf das Leben einzelner Personen haben kann – Auswirkungen, die ohne das Raster vielleicht nicht möglich wären – ich denke, ich habe da vor all den Wissenschaftlern und den Organisatoren dieser Konferenz gestanden, die selbst an Rett leidende Kinder haben. Die Wichtigkeit unserer Bemühungen hat mich ganz schön mitgenommen.

MC: Könne Sie unseren Lesern einen Hinweis auf die Daten geben, die Ihr Projekt bisher erbracht hat?

MJ: Das Projekt ist an einem spannenden Punkt. Wir sind nah daran, unser erstes Unterdrücker-Gen zu identifizieren, und wir haben ein paar weitere potenzielle Gene, die wir auch weiter untersuchen. Sobald sie identifiziert sind, beginnen wir mit Experimenten, um zu bestätigen, dass sie tatsächlich mit Mecp2m interagieren, erst an den Mäusen und dann an Menschen. Ich denke auch, dass die Modifikatoren, die wir bisher haben, nur die Spitze des Eisbergs sind. So haben wir dann noch einiges an Rastern vor uns.
Ich liebe das Projekt, es macht Spaß, es ist spannend, und jedes Stückchen an Daten, das wir ausfindig machen, bringt uns unserem Ziel ein Stückchen näher.

MC: Im Namen der Familien überall, die ein Kind mit Rett-Syndrom lieben, wünschen wir Ihnen beste Erfolge. Wir freuen uns, in Zukunft von weiterem Fortschritt zu hören. Vielen Dank ebenfalls an Pro Rett Ricerca und besonders an Rita Negri und Laura Rassetti für ihre unermüdliche Arbeit, um diese Konferenz zu organisieren.

MJ: Es war mir ein Vergnügen und eine Ehre, bei der Konferenz in der schönsten Gegend Italiens dabei zu sein, ganz in der Nähe, wo Sie geboren wurden.