Jungen mit Rett geben Hinweise auf die Funktion von MeCP2
6. März, 2013 in Uncategorized | Tags: Adrian Bird, Angela Wilkins, ATRX, Baylor College of Medicine, Gail Mandel, HHMI, Huda Zoghbi, Jan and Dan Duncan Neurological Research Institute, MECP2, Olivier Lichtarge, rett, rett syndrome, Rett Syndrome Research Trust, RSRT, Steven Baker
RETT SYNDROME RESEARCH TRUST WEBSITE
von Kelly Rae Chi
Das Rett-Syndrom wird durch eine Vielzahl Mutationen des MeCP2-Protein verursacht, doch in manchen Fällen fehlt das Endstück des MeCP2-Proteins. Steven Baker, postgraduierter Student der Entwicklungsbiologie am Baylor College of Medicine in Houston, der ebenfalls am Ausbildungsprogramm für medizinische Wissenschaftler teilnimmt, blätterte durch die klinische Literatur über Jungen mit solchen Mutationen und stieß dabei auf einen feinen Unterschied bei der Verkürzung des Proteinendstücks – nur drei Aminosäuren – was offenbar den Unterschied macht zwischen jahrzehntelangem Leben (wenn auch mit Rett-ähnlichen Beeinträchtigungen) und dem Tod im Kindesalter.
Steven Baker
Baker fragte seine Betreuerin Huda Zoghbi, ob sie sich vorstellen könne, dass diese wenigen Aminosäuren das klinische Fortschreiten von Rett derart dramatisch beeinflussen könnten.
Huda Zoghbi
„Ich weiß es nicht”, erinnert sich Zoghbi an ihre erste Reaktion. Sie ist Wissenschaftlerin am Howard Hughes Medical Institute und Direktorin des Jan and Dan Duncan Neurological Research Institute am Texas Children’s Hospital. Andere genetische Faktoren könnten zu dem deutlichen Unterschied beim Fortschreiten von Rett beitragen. Der einzige Weg, das herauszufinden, sei die Zucht von Mäusen, die jeweils beide unterschiedlichen Mutationen haben.
Gesagt, getan. Einer Maus wurde das Ende ihres MeCP2 an der Stelle 270 (‘R270X’-Maus) entfernt, während das Protein einer anderen an der Stelle 273 (‘G273X’-Maus) verkürzt wurde. Die Geschichten dieser Mäuse erinnern an das, was Baker bei den Jungen aufgefallen war. Die R270X-Mäuse starben vor der Geschlechtsreife, ähnlich wie Mäuse ohne MeCP2. Im Gegensatz dazu überlebten die G273X-Mäuse mit den zusätzlichen Aminosäuren länger und zeigten später Symptome, obgleich diese dann ernster ausfielen und die Mäuse früher starben als gesunde Mäuse.
Was tun diese Aminosäuren? Beim Versuch, das herauszufinden, haben die Wissenschaftler ihre Einblicke in die Funktionsweise von MeCP2 verfeinert. Ihr Ergebnisse werden diese Woche in Cell veröffentlicht.
(Text in Abbildung:
Erkenntnisse durch neue Mausmodelle für das Rett-Syndrom
Wissenschaftler haben zwei neue Mausmodelle geschaffen, die verkürzte Formen des Rett verursachenden Proteins MeCP2 exprimieren. Die G273X-Maus kann im Vergleich mit einer gesunden Maus (oben) weniger Chromatin (DNA um Histonproteine gewunden; gelbe Köpfe) in einer Zelle unterbringen. Die R270X-Maus, die drei Aminosäuren weniger als G273X hat, nimmt Chromatin noch schlechter auf. Deswegen stirbt die R270X-Maus vor der Geschlechtsreife, ungefähr zur gleichen Zeit wie Mäuse, die gar kein MeCP2 haben.)
Ein Blick auf DNA-Bindung:
Die Forschung weiß, dass MeCP2 im gesamten Genom bindet und die DNA in Nervenzellen stärker ummantelt als in anderen Zellen, doch was es danach genau tut, ist nicht so klar. Man vermutet, dass es Gene ein- und ausschaltet oder die Gesamtstruktur der DNA verändert.
Zoghbis Team nahm an, dass die zwei verkürzten Formen von MeCP2 möglicherweise anders an die DNA binden — auf eine Art, die vielleicht die verschiedenen klinischen Verläufe bei Jungen erklären könnte — doch als sie zuerst mehrere Punkte im Genom untersuchten, stellten sie fest, dass beide Arten in ähnlicher Weise an diese Punkte banden.
Nach einer eher umfassenden Untersuchung des Genoms fand die Gruppe heraus, dass die Bindung von MeCP2 tatsächlich überall gleich war und normal aussah (Letztes war nicht weiter überraschend, weil man vom vorderen Ende von MeCP2 bereits weiß, dass es an DNA bindet). Beide Mutationen störten ebenfalls die normale Fähigkeit von MeCP2, Gene zu unterdrücken.
Durch eine genauere Untersuchung der Genexpression zu verschiedenen Zeitpunkten der Hirnentwicklung stieß die Gruppe jedoch auf einen bedeutenden Unterschied bei den zwei Mutanten: Im Alter von vier Wochen exprimierte eine kleine Gruppe von Genen des R270X-Mutanten nicht auf die übliche Weise, was beim G273X-Mutanten nicht auftrat. Interessanterweise erfuhren diese Gene beim G273X-Typ jedoch nach neun Wochen eine Störung.
Die Verbindung ins Tierreich:
In der Zwischenzeit nahmen die Wissenschaftler Kontakt zu dem Evolutionsbiologen Olivier Lichtarge auf, der Professor am Baylor College of Medicine ist und Computertools zur Untersuchung der Evolution von Proteinsequenzen verwendet. Er half, die Sequenzen der Proteinenden bei verschiedenen Spezies zu vergleichen (unter der Annahme, dass alle Bereiche des Proteins mit großer Ähnlichkeit bei verschiedenen Spezies vielleicht wichtig für die Proteinfunktion seien) „Wir arbeiteten mit Angela Wilkins vom Lichtarge-Labor zusammen und fragten sie, ob es in diesem Bereich etwas wirklich Einzigartiges gebe“, so Zoghbi, die ebenfalls Professorin am Baylor College of Medicine ist.
Man fand heraus, dass drei Sätze des MeCP2-Endstücks bei Fischen, Fröschen. Ratten, Mäusen und Menschen über lange Zeit konserviert sind. Eine Verkürzung von MeCP2 an der Stelle 273 entfernte ein Drittel dieser konservierten Sätze, wogegen ein Entfernen des Endstücks an der Stelle 270 den zweiten und den dritten Satz zerstörte.
Was sind diese Sätze von Aminosäuren am Ende von MeCP2 und welche Funktion haben sie? Es stellte sich heraus, dass es sich hier um so genannte AT-Haken handelt. 2005 beschrieb eine Studie des Teams von Adrian Bird den ersten dieser AT-Haken (welcher bei Zoghbis Modellen der verbleibende ist). Seine Funktion war jedoch weiter unklar.
AT-Haken sind Bereiche eines Proteins, von dem man weiß, dass es an die DNA bindet, und so wandte man sich wieder der Idee zu, dass die beiden verkürzten Proteine sich insofern voneinander unterscheiden, wie sie an das Genom binden, obwohl die ersten Untersuchungen ergeben hatten, dass die Bindung ähnlich stattfand. Mit einer anderen Analyse fand man heraus, dass ein Fehlen des zweiten Bereichs als AT-Haken die Fähigkeit des R270X-Typs einschränkte, kontinuierlich mit bestimmten Sequenzen im Genom zu interagieren.
(Text in Abbildung:
Gegenwärtiges Verständnis der Funktionsweise von MeCP2
MeCP2 bindet an die DNA und hat drei Sätze (AT-Haken, +++) an seinem Ende, welche Chromatin manipulieren (gelbe Köpfe) und bei der Aufnahme in der Zelle helfen. Die Aktivität wird gedämpft, wenn MeCP2 verkürzt wird (‚G273X’ und ‚R270X’-Mäuse). MeCP2 verliert auf diese Weise einen seiner Protein-Partner, das ATRX (rot).)
Die Interaktion zwischen MeCP2 und der DNA:
Unsere Genome sind eng um spulenartige Proteine gewickelt, die Histone genannt werden; die DNA und Histone (zusammen Chromatin genannt, welches wie Perlen auf einer Schnur aussieht) werden dann noch enger zusammengeschnürt, so dass alles in die Zellen passt. Mit einem experimentellen Modell für die Verdichtung in vitro entdeckte das Team, dass R270X-Mäuse (welche, wie wir jetzt wissen, zwei AT-Haken weniger besitzen gegenüber einem bei den anderen) Chromatin nicht so gut komprimieren wie 273X-Mäuse.
Trotzdem sei die erste Erkenntnis, dass beide mutierten Formen von MeCP2 an die DNA binden, weiterhin von Bedeutung, so Zoghbi. „Es zeigt uns, dass die Hauptbindung an die DNA stattfindet. Das ist der erste Schritt.“ Die Forscher nehmen an, dass nach einer Bindung des vorderen Endes von MeCP2 an die DNA die AT-Haken-Sätze am anderen Ende wirken und die DNA weiter manipulieren, etwa indem sie die Struktur biegen oder verändern, so dass die DNA weiter in die Zelle gepackt werden kann.
„Es gab schon vorher Hinweise, dass MeCP2 vielleicht eine Veränderung des allgemeinen Aufbaus der DNA bewirkt. Die neue Studie ist möglicherweise der direkteste Beweis”, sagt die Howard Hughes Medical Institute-Wissenschaftlerin Gail Mandel von der Oregon Health and Science University in Portland, welche allerdings nicht an der Studie beteiligt war.
Der Protein-Partner ATRX:
Wenn das MeCP2 auf der DNA sitzt und wahrscheinlich die Art des Einbaus in eine Zelle verändert, kommen weitere molekulare Partner hinzu. Einer davon ist das Protein ATRX—dessen Mutationen mit dem Alpha-Thalassämie-Syndrom (geistige Retardierung) in Verbindung gebracht wurden—und Adrian Birds Labor hat bereits gezeigt, dass seine Interaktion mit der DNA bei Mäusen mit fehlendem MeCP2 gestört ist. Zoghbis Team hat sich entschieden, dieses Protein bei den neuen mutierten Mäusen zu untersuchen.
Im Vergleich mit den gesunden Mäusen und dem G273X-Typ geht ATRX aus der eng gepackten DNA der Nervenzellen bei R270X-Mäusen früher im Verlauf des Lebens verloren, und dieser Verlust spiegelt das schnellere Auftreten von Rett-Symptomen. „Für uns war das wirklich interessant”, sagt Zoghbi, „weil die Veränderung nicht stattfindet, etwa weil die Nervenzellen krank wären, sondern weil kein ordentlich funktionierendes MeCP2 vorhanden ist.“
Bei der Untersuchung von mutierten Mäusen, denen eine Kopie von MeCP2 fehlt, fanden die Wissenschaftler heraus, dass die Hirnzellen ohne MeCP2 ebenfalls weniger ATRX hatten, das eng an die dicht gepackte DNA gebunden war, wenn man die Befunde mit einer Kontrollgruppe verglich. Bei weiblichen Mutanten mit zu viel MeCP2 war eine übergroße Menge ATRX an die DNA angelagert. Kein MeCP2 in Leber und anderen Organen außer dem Hirn hatte keinen Einfluss auf die Bindung von ATRX in diesen Organen, so dass angenommen werden kann, dass MeCP2 über einen Mechanismus speziell für das Hirn verfügt.
Zukünftige Richtungen:
Zusammengefasst legten diese Ergebnisse die Annahme nahe, dass die AT-Haken-Sätze am Ende des MeCP2-Proteins im Hirn die DNA auf eine Weise manipulieren, die entscheidend ist, damit andere Protein-Partner binden und ihre Aufgaben erledigen könnten, so Zoghbi.
„Diese neue Arbeit wirft ein Licht auf die Komplexität der Interaktion zwischen MeCP2 und ATRX“, sagt Mandel. Außerdem „kennen wir nicht alle anderen Proteine, die an MeCP2 binden. Man könnte aber vermuten, dass es da noch mehr Partner gibt, die einen Einfluss darauf haben, ob Gene ein- oder ausgeschaltet sind.“
Zoghbis Team hofft herauszufinden, wie ein verkürztes Ende von MeCP2 die Chromatinstruktur verändert hat, ohne dabei die Genexpression dramatisch zu beeinflussen — mehr Wissen erhofft man sich ebenfalls über den Einfluss der Mutation auf die Hirnaktivität. Sie planen auch biochemische und molekulare Experimente, um herauszufinden, wohin das ATRX geht und was es tut, wenn seine Verteilung in den Hirnzellen von den MeCP2-Mutanten verändert wird.
Für Zoghbi unterstreichen die neuen Erkenntnisse, wie wichtig es ist, zurück zu den Patienten zu gehen, um mehr über die Funktion von MeCP2 herauszufinden. 1999 zeigte Zoghbi zum ersten Mal, dass verschiedene Mutationen an MeCP2 Rett verursachen. „14 Jahre später stehen wir hier, und einige der Mutationen beim Menschen erteilen uns eine Lehre“, sagt sie. „Es ist wirklich sehr ernüchternd zu sehen, welche Vielfalt man erkennt und welche Breite an menschlichen Eigenschaften, die man analysieren muss, um dann wieder zurückzugehen und sie an Mäusen zu untersuchen.“