(Anm. d. Übers.: ‚Justice’, der Name der Wissenschaftlerin, von der hier die Rede ist, bedeutet im Englischen ebenfalls ‚Gerechtigkeit’; der Titel könnte auch als ‚Wir verschaffen Rett Gerechtigkeit’ gelesen werden)
RETT SYNDROME RESEARCH TRUST WEBSITE
(Bildtext: Der RSRT vergibt weitere 300.000 USD an das Projekt zu Modifikatorgenen. Das bedeutet aktuell eine Förderung von 800.000 USD.)
Von Monica Coenraads
Letzte Woche stimmten die Vorsitzenden des RSRT dafür, Monica Justice vom Baylor College of Medicine weiter zu unterstützen. Dr. Justice ist Mausgenetikerin (ja, diese Leute gibt es tatsächlich) und leitet eins der gegenwärtig einzigartigsten Projekte innerhalb der Rett-Forschung. Für mehr Information darüber lesen Sie bitte das September 2009 Bloginterview mit Dr. Justice.
Dieses Projekt ist ein Mammutunternehmen – eines jener Art, die eine gewisse Furchtlosigkeit auf Seiten des Forschers (und des Förderers) erfordert. Das Risiko ist hoch, entspricht aber im Verhältnis der potenziellen Belohnung.
Mich selbst verbindet eine bestimmte Neigung mit diesem besonderen Projekt, weil ich beim ersten Vorschlag der Idee anwesend war. Zu der Zeit war ich Leiterin für Forschung bei der Rett Syndrome Research Foundation (RSRF, Gesellschaft zur Förderung der Rett-Syndrom-Forschung) und organisierte die jährlichen Konferenzen zum Rett-Syndrom, die jeweils an drei Tagen Ende Juni stattfanden. Bei dem Treffen 2006 bettelte ich zwei Dutzend der brillantesten und kreativsten Wissenschaftler an, mit mir ein frühmorgendliches „Treffen vor dem Treffen“, abzuhalten. Die Veranstaltung hieß „Wissenslückenzusammenkunft“. Ich stellte folgende Aufgabe: Entwickeln Sie eine mit Prioritäten versehene Liste von Experimenten mit großer Wirkung, die gegenwärtig niemand durchführt und die wahrscheinlich keine Unterstützung bei traditionellen Förderern finden werden. Nach einer zweistündigen Diskussion lieferte die Gruppe ihren Spitzenkandidaten: eine Rasterung nach Modifikatoren, um Gene aufzufinden, die die Auswirkungen einer MECP2 –Mutation unterdrücken.
Meine nächste Aufgabe war, die bestmögliche Person für die Durchführung der Rasterung aufzufinden und zur Zustimmung zu überreden. Ein paar Monate später organisierte ich einen Rett-Workshop bei einer “Konferenz zur Mausgenetik“ (ja, auch sowas haben sie) in Charleston, SC, wo eine Reihe Kandidaten auftauchten.
Fazit: Ich umwarb Dr. Justice und sie stimmte dem Projekt enthusiastisch zu.
Fünf Jahre später freue ich mich, dass das Projekt gedeiht und eine Fülle an Information hervorbringt. So habe ich Dr. Justice kürzlich getroffen, um den Fortschritt des Projekts zu besprechen.
MC: Dr. Justice, danke, dass Sie Ihre Zeit fern der Arbeit mit mir verbringen, um unsere Leser über Ihr faszinierendes Projekt ins Bild zu setzen. Bitte erzählen Sie uns, wie es läuft.
MJ: Mit Vergnügen. Zu Beginn würde ich gern sagen, dass dieses Projekt niemals von den NIH [Anmerkung: National Institutes of Health, Gesundheitsbehörde der USA] gefördert worden wäre. Ebenso wenig hätte ich es Ihrer Organisation vorgeschlagen, wenn Sie nicht an mich herangetreten wären. Ich wusste nur wenig über das Rett-Syndrom, als ich mit diesem Projekt begonnen habe.
MC: Erzählen Sie uns ein bisschen über Modifikatoren. Denken Sie, dass sie für jede Krankheit vorhanden sind?
MJ: Ich denke, dass die meisten Krankheiten von Mutationen beeinflusst werden können, aber ich glaube nicht, dass jede Krankheit notwendigerweise Modifikatoren hat.
MC: Wissen Sie, wie viele Screens wie Ihrer im Moment durchgeführt werden?
MJ: Ich weiß nur von ein paar bei Mäusen.
MC: Gibt es Screens, die zu Modifikatoren geführt haben und auf ein Medikament für eine spezielle Krankheit schließen lassen?
MJ: Das ist eine gute Frage. Ich kenne keine. Das Ziel der meisten Modifikatorenraster ist nicht die Auffindung eines Medikaments, sondern eher das Verständnis eines Stoffwechselwegs in Verbindung mit der Entwicklung oder eines biochemischen Wegs. Mit unserem Screen lernen wir meiner Ansicht nach eine Menge über die Biologie des Stoffwechselwegs, unsere Hoffnung ist aber, einen Weg zu finden, der zu Medikamenten führen kann.
MC: Wie sieht es mit dem Fortschritt und den Aufs und Abs des Projekts aus?
MJ: Zu Beginn des Projekts stießen wir auf mehrere Probleme. Wir hatten beispielsweise keine Ahnung, dass die Weibchen mit mutiertem Mecp2 so wenig Nachwuchs bekommen. Wir haben alles ausprobiert, um ihre Fruchtbarkeit anzukurbeln, weil wir für den Screen eine Menge Mäuse brauchten, aber nichts hat funktioniert. Wir blieben trotzdem dran, mit einfacher Mauszucht, und konnten so schließlich das Tempo erhöhen. Am Anfang hatten wir ein paar Kommunikationsprobleme im Labor. Ich weiß nicht, ob wir so viele Modifikatoren erwartet hatten, wie wir fanden. Doch dann haben wir ein System entwickelt und das hat gut funktioniert, sodass die Dinge besser abliefen. Mir ist auch recht früh klar geworden, dass ich sehr aktiv an diesem Projekt teilnehmen musste.
Als wir die Modifikatorenlinien isolierten, haben wir bemerkt, dass jede anders war: Das bedeutet, keine unterdrückte die Krankheit komplett, aber bei jeder Modifikatorenlinie sah es so aus, als unterdrückte sie eine Untergruppe der Rett-Symptome. Auch erlaubte jede Linie den Mäusen ein längeres Leben, bessere Körperfunktionen und mehr Gesundheit. Einige von ihnen entwickelten jedoch andere Symptome, wie etwa Entzündungen oder Infektionsanfälligkeiten, was ihr Leben wieder verkürzen konnte. Entsprechend arbeiteten wir mit unseren Veterinären, die uns bei der Entscheidung, wie man diese Mäuse behandeln könnte, unterstützten. Wir haben beispielsweise herausgefunden, dass eine Behandlung mit Antibiotika außerordentlich gut funktionierte.
Dann waren da diese unvorhersagbaren Pannen am Anfang, aber jetzt läuft alles leichter. Wir haben ein paar Modifikatorenlinien isoliert. Der Screen pausiert im Moment, weil wir auf das Verständnis dieser fünf Modifikatorenlinien konzentriert sind. Bis jetzt haben wir drei Unterdrückergene identifiziert, und es gibt Kandidaten für die anderen zwei. Nach unserem Gefühl haben sowohl der Screen als auch die Genidentifikation sehr gut funktioniert. Jeder der Modifikatoren hat einen anderen Phänotyp und zielt so auf andere Symptome. Wir sehen auch, dass jeder Modifikatorenort ein anderes Gen betrifft. Zum Beispiel verzögert der Unterdrücker in der Linie, die wir “Romeo” nennen, den Beginn von Rett-ähnlichen Symptomen, und die Mäuse haben keine Entzündungsläsionen. Aber manchmal sterben die Mäuse an den Symptomen. Deshalb liegt der Beginn neurologischer Symptome später in ihrem Leben, was die Lebensspanne verlängert. Eine andere Linie, “Henry”, entwickelt kaum Rett-ähnliche Symptome und lebt fast ein komplett langes Leben mit nur wenigen Entzündungsläsionen der Haut in einer späten Phase des Lebens. Wieder eine andere Linie, “Cletus”, überwindet einige neurologische Symptome und die Mäuse leben entsprechend länger, aber diese langlebigen Mäuse haben schwere Entzündungsläsionen, auch schon früh in ihrem Leben. Denken Sie daran, dass jede dieser Linien das Mecp2 (Bird) Nullallel in sich trägt, zusammen mit einer zweiten Mutation, die seine Symptome mildert.
MC: Man kann statistisch berechnen, wie viele Mäuse Sie benötigen, um das gesamte Genom durchzuarbeiten, mit anderen Worten: Um sicherzustellen, dass Sie eine Mutation an jedem Gen haben. Welchen Prozentsatz des Genoms hat Ihr Screen bisher erreicht?
MJ: Wir haben zwischen zehn und zwanzig Prozent des Wegs zurückgelegt.
MC: Dann ist es noch ein weiter Weg.
MJ: Auf der Basis unserer bisherigen Arbeit könnten wir weitere 25 Modifikatoren finden.
MC: Die ideale Situation ist, dass die Unterdrücker, die Sie in den Stoffwechselbahnen finden, irgendwie bekannt sind, und dass es idealerweise bereits damit assoziierte Medikamente gibt. Sie müssen aber auch herausfinden, wie der Unterdrücker die krankheitsfördernden Auswirkungen einer MeCP2-Mutation verhindert.
MJ: Ja, es gibt noch einige Schritte nach der Auffindung eines Modifikatorengens, die wir nehmen müssen, um zu verstehen, was da passiert.
MC: Eins der überraschenden Dinge, die bei Ihren Screens bereits herausgekommen sind, ist die bloße Tatsache, dass MeCP2 so viele Modifikatoren hat. Was glauben Sie ist der Grund dafür?
MJ: Meine Annahme ist, dass das biologische System bei Rett sich eher am Rande befindet und nicht so schädlich ist, dass es beispielsweise direkt zum Tod führt. Es ist ganz einfach, die Skala in Richtung ein bisschen besser zu verschieben —– oder ein bisschen schlechter. Mein Gefühl nach den Screens ist, dass MeCP2 diese Situation in den Zellen herstellt, dass sie bestimmt sind, ziemlich einfach in die eine oder die andere Richtung zu gehen.
MC: Ihre Annahme legt nahe, dass es viele Dinge geben könnte, die Rett-Symptome lindern.
MJ: Das mit Sicherheit. Vielleicht bringt auch eine Kombination daraus bemerkenswerte Fortschritte.
MC: Was ist Ihr Zeitrahmen für die Wiederaufnahme des Screens?
MJ: Ich bin normalerweise optimistisch, was Zeit betrifft. Meine Hoffnung wäre, dass wir den Screen innerhalb eines Jahres wieder aufnehmen können.
MC: Was mir an dem Screen besonders gefällt, ist seine Unvoreingenommenheit. Vorbedenken und beliebte Annahmen spielen hier keine Rolle. Das Tier sagt Ihnen, was wichtig ist, und Sie folgen einfach den Ergebnissen der Daten. Ich finde das sehr beruhigend.
MJ: Das sehe ich auch so. Wir waren oft komplett überrascht. Doch dann, nachdem wir mehr Daten hatten, machte die Art der Unterdrückung absolut Sinn. Wir lernen schon eine Menge von diesen Tieren.
MC: Ich mache noch eine letzte Anmerkung für unsere Leser. In den letzten 12 Jahren habe ich die Erstansicht bei weit über Tausend Finanzierungsbewerbungen aus der Forschung übernommen. Entsprechend habe ich einen guten Teil der Kommentare nach Sichtung gelesen. Normalerweise sind die Kommentatoren eine konservative Truppe. Selbst wenn ein Projekt sie enthusiastisch stimmt, bleiben sie vorsichtig. Dann stieß Ihr letzter Vorschlag jedoch auf Kommentare wie „Wow”. Das ist wirklich ungewöhnlich und ein Tribut an Ihre Kreativität, Risikobereitschaft und Ausdauer. Ich bin begeistert, dass der RSRT Ihr Partner sein kann und hoffe, dass wir zusammen einige dieser so sehr gebrauchten Behandlungsmöglichkeiten zu den Kindern und Erwachsenen bringen können, die so sehr darauf warten.