Knochenmarktransplantationen – Vorsichtiges Voranschreiten

Der kürzlich veröffentlichte Kipnis-Artikel in Nature hat innerhalb der Rett-Gemeinde eine nachvollziehbare Aufregung und einige Fragen hervorgerufen. E-Mail und Facebook sind schwierige Kanäle, wenn man ordentliche Antworten geben will. Das Rett-Syndrom ist komplex, und das Gleiche trifft auf die Forschung zu. Diese Arbeit gibt sich nicht für Parolen her. Ich bin mir bewusst, dass Mütter und Väter von Kindern mit Rett oft müde und überarbeitet sind, doch ich ermutige Sie, sich fünfzehn Minuten bei einer Tasse Kaffee zusammen zu setzen, der Diskussion der Forscher in dem Video Interview genau zu folgen und danach umfassender informiert zu sein.

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„Ich möchte mich in einem Punkt sehr klar ausdrücken – Eltern sollten nicht die Initiative einer Knochenmarktransplantation für ihr Kind ergreifen.“

Der Artikel wurde bereit euphemistisch als Artikel über Knochenmarktransplantation bezeichnet. Ich habe ihn gelegentlich selbst so genannt, manchmal sogar in Gegenwart von Dr. Kipnis, der prompt sagte: „Bitte nennen Sie ihn nicht so. Der Artikel enthält so viel mehr Information als nur Experimente mit Knochenmark.“ Da hat er Recht. Es gibt hier tatsächlich Material, das für zahlreiche Veröffentlichungen gereicht hätte.

Der Artikel zieht eine ungewöhnlich starke Aufmerksamkeit in der Wissenschaftlergemeinde auf sich, was mehr Interesse am Rett-Syndrom und der Rolle des Immunsystems bei neurologischen Störungen weckt. Das Ergebnis der Knochenmarktransplantation ist verständlicherweise der Aspekt, der die Familien in seinen Bann zieht. Das liegt an seinem Potenzial für die klinische Anwendung, aber wir sollten nicht über die anderen Ergebnisse hinwegsehen, weil sie ebenfalls auf eventuelle Behandlungswege hinweisen können. Meine starke persönliche Hoffnung ist, dass neue Entdeckungen im Lauf der Zeit eine Manipulation des Immunsystems auf einem sichereren Weg ermöglichen werden.

Knochenmarktransplantationen werden seit 1968 eingesetzt, um eine immer größere Anzahl an Leiden zu behandeln. Dazu zählen verschiedene Krebsarten, Stoffwechselerkrankungen, erbliche Störungen der Erythrozyten und des Immunsystems. Die Behandlung kann Leben retten. Sie kann aber auch tödlich sein. Zusammen mit Chemo- und/oder Strahlentherapie ist Knochenmarktransplantation ein ernstes und strapaziöses Verfahren mit deutlichen Nebenwirkungen. Es bedarf der gebündelten Kenntnisse von Experten für Knochenmarktransplantation bei Kindern, wie auch beim Rett-Syndrom, und von Grundlagenforschern, um das Risiko so gering wie möglich zu halten.
Im Zuge der Bündelung von Fakten hat der RSRT Gespräche zwischen führenden Transplantationszentren für Kinder und Sasha Djukic, dem Direktor des Rett Syndrome Center an der Kinderklinik in Montefiore, Jonathan Kipnis und seinen Labormitarbeitern und kürzlich den NIH (National Institutes of Health, US-Gesundheitsbehörde) organisiert. Die Diskussion beschäftigt sich auch mit den erforderlichen Daten, um klinische Tests zu erwägen. Dies muss abgeschlossen und gründlich ausgewertet werden, wenn das bestmögliche Behandlungsvorgehen entwickelt werden soll. Die unabhängige Bestätigung der von Dr. Kipnis und seinem Team erzielten Ergebnisse ist dabei eine Standardvoraussetzung. Daran wird bereits gearbeitet. Im Kipnis-Labor selbst werden derweil weitere Experimente durchgeführt, so dass wir auch hier mit neuen Informationen rechnen können.

Entsprechend ist es für mich vielleicht an der Zeit zu wiederholen, dass der RSRT sehr energisch auf dem Gebiet der Forschung vorgeht, bei der klinischen Anwendung aber konservativ ist. Ich möchte mich in einem Punkt sehr klar ausdrücken – Eltern sollten nicht die Initiative einer Knochenmarktransplantation für ihr Kind ergreifen. Als Mutter einer ernsthaft betroffenen Tochter verstehe ich die verzweifelte Suche nach Behandlungsmöglichkeiten nur zu gut. Als geschäftsführende Direktorin des RSRT verstehe ich aber ebenso gut, wie wichtig es ist, die notwendige akribische Sorgfalt walten zu lassen. Der RSRT tut dies in allen seinen Vorhaben, bei allen Projekten, die geprüft werden, bei allen finanziellen Entscheidungen und mit Sicherheit bei jedem Ansatz zu klinischen Tests.

Ich teile Ihre Anspannung, Ihr Drängen und Ihre Besorgnis, und der RSRT wird sie weiterhin über neue Entwicklungen informieren, wenn sie sich ergeben.

– Monica Coenraads
Geschäftsführende Direktorin des RSRT

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(Bildtext: Kernaspekte des Nature-Artikels:
– Eine Neupopulation des Hirns bei sowohl männlichen als auch weiblichen Mäusen mit gesunden Mikrogliazellen über eine Knochenmarktransplantation stoppte die Entwicklung schwerer Rett-Symptome.
– Mäuse mit MeCP2 in nur ihren angeborenen Immunzellen wie Mikroglia und Makrophagen sind sehr viel gesünder als Mäuse ganz ohne MeCP2. Das spricht für die bedeutende Rolle dieser besonderen Zellen (und entsprechend des Immunsystems) im Zusammenhang mit der Pathologie von Rett.
– Eine eingeschränkte Phagozytose durch Fehlfunktion der Mikroglia könnte zu den tiefer liegenden Ursachen der Rett-Symptome beitragen