1. September 2015 in Research | Tags: Monica Coenraads, Pharmaceuticals, Rare Disease
Ich bin häufig mit Aussagen dieser Art konfrontiert: „Die Pharmaindustrie hat kein Interesse an der Entwicklung von Medikamenten für das Rett-Syndrom, weil diese Störung selten ist und die Firmen damit kein Geld verdienen können.“
Trotzdem erhalte ich beinahe täglich E-Mails und Anrufe oder treffe Entscheidungsträger der Branche persönlich. Meiner Auffassung nach befindet sich Rett durchaus im Wahrnehmungsfeld der Industrie, was sowohl auf große Pharmakonzerne, als auch auf kleinere Firmen der Biotechnologie zutrifft. Doch warum ist das so?
Die Industrie strömt in Richtung seltener Krankheiten, und hier sind ein paar Gründe dafür, warum sie das tut:
Die biologische Seite seltener Krankheiten ist oft besser verständlich als bei üblichen Krankheiten. Dies ist mit Sicherheit auch bei Rett der Fall, weil es durch die Mutation eines einzelnen Gens ausgelöst wird, welches bereits genau lokalisiert wurde.
Der US Orphan Drug Act (Orphan-Medikamente-Verordnung), welcher die Förderung der Medikamentenentwicklung für seltene Krankheiten beinhaltet, gewährt Firmen Steuernachlässe, finanzielle Mittel für klinische Studien, die Befreiung von FDA-Gebühren (FDA = Behörde zur Aufsicht von Lebensmitteln und Medikamenten) und eine 7-jährige Marktexklusivität.
Medikamente für seltene Krankheiten können enorme Preise haben. Jährliche Kosten von 100.000 bis 500.000 USD sind keine Seltenheit.
Medikamente für seltene Krankheiten verursachen geringere Marketingkosten und bieten oft erhöhte Chancen auf Rückerstattung.
Klinische Studien sind viel kleiner und entsprechend billiger. Außerdem erleichtert eine enthusiastische Patientengruppe die Suche nach Probanden.
Wirkstoffe, die eigentlich zur Behandlung seltener Krankheiten hergestellt wurden, erweisen sich manchmal als hilfreich für eine breitere Patientengruppe.
Firmen wie Genzyme, Shire, Vertex, Alexion, BioMarin, Celgene und Aegerion, um nur einige zu nennen, haben ein erfolgreiches Geschäftsmodell für die Entwicklung von Medikamenten für seltene Krankheiten fest etabliert.
Dieser Paradigmenwechsel bedeutet gute Nachrichten für Rett. Zusätzlich zu den oben genannten Vergünstigungen bietet Rett einen einzigartigen Vorteil, welcher der Aufmerksamkeit der Entscheidungsträger in der Branche nicht entgangen ist: Umkehrbarkeit!
Doch auch wenn es außerordentlich begrüßenswert ist, diese Entwicklung zu beobachten, so dürfen wir doch nicht die Intensität mindern, mit der wir Grundlagenforschung und klinische Forschung unterstützen und vorantreiben. Das Interesse der Pharmaindustrie an den Ansätzen, die der RSRT bisher verfolgt hat (Aktivierung des stummen MECP2, Modifikatorgene, nachgelagerte Ziele wie NMDA Verabreichungswege, Gentherapie) bekräftigt unsere Forschungsstrategie. Unsere Forschung hat eine reichhaltige Quelle potenzieller Angriffspunkte für Medikamente hervorgebracht, und es ist daher unerlässlich, die Quelle weiter sprudeln zu lassen.